Verhaltenstherapie

Was ist Verhaltenstherapie?

Verhaltenstherapie ist ein lerntherapeutischer Ansatz, der sich auf die Veränderung von unerwünschten Verhaltensweisen konzentriert. Die Grundlagen der Verhaltenstherapie gehen davon aus, dass Verhalten erlernt ist. Und wenn wir Verhaltensweisen erlernen, die nicht erwünscht sind oder uns in unserem Alltag behindern, greift die Verhaltenstherapie genau dort ein und lehrt, wie man diese negativen Verhaltensweisen wieder verlernt. Es gibt inzwischen über 50 verschiedene Methoden, Verhaltensweisen zu löschen.

Stellen wir uns mal einen Säugling vor. Der ist darauf angewiesen, dass die Mutter ihm Aufmerksamkeit entgegenbringt, indem sie ihm zu Essen gibt, ihn wickelt, ihn herzt und schlafen legt. Wenn der Säugling ein Bedürfnis hat, weint er, um auf sich aufmerksam zu machen. Nun wird der Säugling schnell lernen, wie er sich verhalten muss, um am effektivsten Zuneigung zu bekommen. Wenn hier eine Disharmonie entsteht, können sich erste Störungen entwickeln, die auch im Diagnoseklassifikationssystem anerkannt sind. Dies sind Fütterstörungen, Schlafstörungen und Schreistörungen. Die Verhaltenstherapie arbeitet im Säuglingsalter vor allem mit den Eltern. Sie lässt die Eltern die Problematik verstehen und erlernen, wie sie sich zukünftig verhalten müssen, damit der Säugling angemessen reagiert und ein gutes Miteinander möglich ist. Erlernte Problematiken können in allen Lebensaltern entstehen. Beispielsweise seien hier genannt:

  • das trotzige Kleinkind,
  • das ängstliche Kindergartenkind, das nicht im Kindergarten bleiben möchte,
  • das Kind, das immer noch in die Hose macht,
  • das Kind, das nicht zurecht kommt, wenn ein Geschwisterkind auf die Welt kommt,
  • das unruhige Schulkind, welches nicht auf dem Platz sitzen bleibt und immer dazwischen ruft,
  • das Kind, das alles rum liegen lässt und sich nicht an Regeln hält,
  • das Kind, das immer Probleme mit den Mitschülern hat und so zum Aussenseiter wird
  • das traurige Kind, welches oft weint und viel nachdenkt und sensibel ist,
  • das Kind, das einen Tic oder Zwang entwickelt und sich sehr oft die Hände waschen muss oder davon überzeugt ist, dass etwas schlimmes passiert, wenn es nicht jeden Laternenmasten zählt, den es auf dem Schulweg sieht,
  • der Jugendliche, der ritzt, weil er sonst den Druck nicht aushält,
  • der Jugendliche, der die Familie tyrannisiert und macht, was er will,
  • der Jugendliche, der sich von seinen Eltern abwendet und nicht mehr erreicht werden kann,
  • der Jugendliche, der viel grübelt und sich zu nichts mehr motivieren kann – außer vielleicht die Nutzung von Medien – und viel weint,
  • der Jugendliche, der mit dem Erwachsenwerden überfordert zu sein scheint.

Sollten hier bei Ihnen bekannte Situationen vor dem inneren Auge erscheinen, dann lohnt es sich, über einen Besuch beim Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nachzudenken. Die Wartezeiten, bis eine Therapie begonnen werden kann, dauern meistens mehrere Monate bis hin zu einem Jahr. Daher gilt die Devise: Lieber frühzeitig auf einer Warteliste stehen und den Therapieplatz absagen, wenn kein Bedarf mehr besteht, als zu warten, bis der Druck so groß ist, dass eine Wartezeit nicht mehr möglich ist und ggf. vielleicht sogar ein Klinikaufenthalt die letzte Chance ist.

 

Wie lange dauert eine Verhaltenstherapie?

Verhaltenstherapie ist eine von den Krankenkassen anerkannte Form der Psychotherapie. Vor Beginn der Psychotherapie stehen bei Menschen bis zum 21. Lebensjahr zuerst maximal 5 Sprechstundentermine zur Verfügung, die zur Abklärung der Problematik da sind. Hier wird der Bedarf für eine Psychotherapie festgestellt. Wenn der Bedarf erkannt wird, werden bis zu 5 Probatorische Sitzungen für die Diagnostik und der Erstellung eines Therapieplans genutzt. Wenn dann die Entscheidung für eine Psychotherapie erfolgt, stellt der Therapeut gemeinsam mit dem Patienten einen Antrag über eine Kurzzeit- oder eine Langszeittherapie. Eine Kurzzeittherapie wird mit 2 x 12 Therapiestunden für den Patient veranschlagt. Wenn der Patient unter 21 Jahre ist und noch zu Hause oder in einem sozialen Bezug lebt, können weitere 2 x 3 Therapiestunden für die Bezugspersonen (Eltern, Pflegeeltern, Geschwisterkinder, Lehrer, Betreuer, …) beantragt werden. Bei einer Langzeittherapie sind 60 Therapiestunden für den Patienten und ggf. 15 Therapiestunden für die Bezugspersonen die Regel.

In welchem Turnus die Therapiestunden stattfinden, steht immer im Ermessen des Therapeuten und des Patienten. Meist beginnt man mit wöchentlichen Terminen und wechselt dann zu zweiwöchentlich oder monatlich, je nachdem, wieviel Zeit zum Üben einzelner Verhaltensweisen gebraucht wird.

Wie wird in einer Verhaltenstherapie gearbeitet?

Hier seien einige Beispiele für verhaltenstherapeutische Verfahren und Methoden genannt:

Konfrontationsverfahren:

Konfrontationsverfahren sind typische Verfahren der Verhaltenstherapie und werden klassischerweise bei der Bewältigung einer Angstsymptomatik eingesetzt.

Angst ist grundsätzlich etwas Sinnvolles. Der Körper gibt Alarm, wenn etwas gefährlich ist. Zum Beispiel bekommt ein Kind bereits so früh wie möglich beigebracht, dass es nur dann über eine Straße gehen darf, wenn es sorgfältig nach rechts und links geschaut hat. Wenn alles frei ist, darf es die Straße überqueren. Hier erlernt es die sinnvolle Angst vor einem Unfall und bekommt direkt eine gute Lösungsstrategie an die Hand.

Wenn ein Mensch nun Angst bzw. eine Phobie vor Spinnen hat, ist das in unserer Region unsinnig. Die Spinnen sind ungefährlich. Trotzdem reagiert ein Spinnenphobiker genau so, als würde eine reale Gefahr von der Spinne ausgehen. Der Herzschlag erhöht sich, die Hände schwitzen und der Impuls wegzulaufen oder zu schreien ist groß. Hier aktiviert sich ein System unseres Körpers, das bis in die Steinzeit zurück geht. Wenn damals ein Steinzeitmensch in seiner Höhle geschlafen hat und ein Säbelzahntiger kam, um ihn zu fressen, hat der Körper alle Funktionen mobilisiert, um das Überleben zu sichern. Der Mensch musste innerhalb von kürzester Zeit wach und leistungsfähig sein. Dazu hat der Körper eine Menge an Adrenalin ausgeschüttet. Das führt dazu, dass das Herz anfängt zu rasen und die Atmung sich rasch beschleunigt, um somit den Sauerstoff sofort in alle Zellen transportieren zu können und dem Menschen ein schnelles Weglaufen zu ermöglichen. Die gleichen Funktionen ruft der Körper bei einem Spinnenphobiker ab, wenn er eine Spinne sieht. Dies ist jedoch offensichtlich eine Fehlschaltung, denn die Spinne will uns ja nicht ans Leben. Diese Fehlschaltung gilt es zu löschen.

Und nun kommt das Konfrontationsverfahren ins Spiel. Da der Körper gelernt hat, bei Spinnen ängstlich zu reagieren, muss er jetzt lernen, gelassen zu reagieren. Bis jetzt hat der Spinnenphobiker die angstbesetzte Situation verlassen, sprich, er ist weggelaufen. Die Angst hat nachgelassen und er hat gelernt: „Wenn ich von der Spinnen wegrenne, geht es mir wieder gut.“ Nun will er lernen, gelassen zu reagieren, wenn er eine Spinne sieht, und dafür muss er in der Situation bleiben, bis die Angst nachlässt. Jetzt lernt er: „Die Spinne tut mir nichts, der Körper reagiert falsch.“ Je öfter der Spinnenphobiker also eine Spinne sieht, desto eher wird er entspannt reagieren, bis er keinerlei Angst mehr empfindet. Er hat verlernt, Angst zu haben.

Operante Verfahren

Das operante Verfahren ist ebenfalls ein typisches Verfahren für die Verhaltenstherapie. Die wohl bekannteste Methode, die unter dieses Verfahren fällt, ist die Entwicklung eines Belohnungssystems.

Als Beispiel sei hier das Abendritual genannt. Der 7-jährige Georg soll lernen, abends von alleine seine Schultasche für den nächsten Tag zu packen, ans Zähne putzen zu denken, sich selbständig den Schlafanzug anzuziehen und ins Bett zu schlüpfen, wo er dann die Mami rufen darf, die ihm noch eine Geschichte vorliest. Bis jetzt gibt es abends nur Ärger, das Kind will nicht ins Bett, und schon gar nicht seine Zähne putzen. Es endet meist im Streit. Bis dann endlich Ruhe ist, ist eine Stunde vergangen. Das Kind weint sich in den Schlaf und die Mutter ist entnervt. Um hier ein entspanntes Miteinander zu erreichen, kommt nun das operante Verfahren zum Einsatz:

Es wird gemeinsam mit Eltern und Kind ein Kontingenzvertrag erarbeitet. Hier wird schriftlich festgelegt, was die Beteiligten erreichen möchten bzw. welches Verhalten verändert werden soll. In unserem oben genannten Fall würde hier stehen:

  • Um 19 Uhr ist Zeit für das Abendritual.
  • Georg geht nach einmaliger Erinnerung in sein Zimmer und packt seine Schulsachen.
  • Georg putzt selbständig seine Zähne.
  • Georg zieht seinen Schlafanzug an. Georg geht ins Bett und ruft die Mami.
  • Georg bekommt einen Extrapunkt, wenn er alles bis 19.20 Uhr geschafft hat.

Hierfür kann Georg maximal fünf Punkte am Tag bekommen. Pro erarbeiteten Punkt verdient sich Georg eine Spielminute mit dem Papi. Diese können am Wochenende eingelöst werden.

Wichtig hierbei ist, dass die Belohnung ein Herzenswunsch von Georg ist, und er sich wirklich dafür anstrengen möchte. Das Motto ist: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Auch sollten wenige Punkte in dem Vertrag stehen und die Punkte sollten einfach sein, der Vertrag also übersichtlich und leicht verständlich. Wenn die gewünschten Erfolge eintreten, kann der Vertrag verändert werden.

Der Erfolg der Behandlung hängt nicht nur von der Einfachheit des Plans und von den richtigen Verstärkern (Belohnungen) ab, sondern auch von der Konsequenz, mit der die Eltern und das Kind diesen Verstärkerplan einhalten.

Kognitive Verfahren

Hierbei geht es beispielsweise um eine sogenannte Kognitive Umstrukturierung. Dabei geht es darum, Fehlüberzeugungen zu verändern.

Nehmen wir einmal an, dass die 17-jährige Sybille unter Depressionen leidet und davon überzeugt ist, dass sie nichts kann und immer alles falsch macht. Außerdem mag sie keiner und das ist ja auch ganz logisch, denn sie ist ja auch nicht liebenswert. Wenn sie eine Aufgabe in der Schule lösen muss, dann kann sie es nie. Wenn sie eine gehasste GFS halten muss, bekommt sie nie ein Wort heraus und weiß auf Fragen auch keine Antworten, obwohl sie sich vorbereitet hat.

Bei dieser Aufzählung wird schon deutlich, dass Sybille viele negative Grundüberzeugungen hat und nicht an sich und ihr Können glaubt. Sie ist überzeugt davon, dass ihr nichts gelingen kann und dass sie auch niemand mögen kann. Eine kognitive Umstrukturierung setzt hier an, um diese dysfunktionalen Gedanken, die tief im Unterbewusstsein verankert sind, zu verändern.

Zuerst geht es darum, dass Sybille mit Hilfe von Selbstbeobachtungsbögen diese negativen Grundüberzeugungen aufdeckt und erkennt. Diese dysfunktionalen Gedanken werden mit Hilfe einer bestimmten Gesprächsführung (sokratischer Dialog) in Frage gestellt. Anschließend werden konstruktive hilfreiche Gedanken formuliert. Diese werden immer wieder wiederholt, bis sie in Fleisch und Blut übergehen, damit Sybille dies bei der nächsten problematischen Situation abrufen kann. Dann wird aus „Immer mache ich alles falsch.“ ein „Hier habe ich zwar die falsche Entscheidung getroffen, aber ich treffe auch richtige Entscheidungen, und jetzt bin ich in der Lage, die Folgen gut zu meistern.“ Diese neuen, konstruktiven Kognitionen können in der Therapie in Rollenspielen geübt werden.

Im Grunde kann man sich gut vorstellen, dass es funktioniert, wenn man sich immer wieder vorsagt, dass man etwas beherrscht und wenn man dann daran glaubt. Denn es funktioniert ja auch andersherum. Wenn man sich immer wieder einredet, dass man nichts kann, glaubt man ja auch daran. Es fällt uns einfach nur leichter, zu glauben, dass wir etwas nicht können, als das Gegenteil.